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DIE ZEIT
10/2005

Schein der Schuld
Eheleute aus Heilbronn sollen einem Gläubiger 245000 Euro zurückzahlen.
Die Unterschrift auf dem Wechsel sei nicht von ihnen, behaupten sie

Von Jörg Burger

Gerda Luksch steigt die hölzernen Stufen zum Wohnzimmer hinauf. Sie ist eine schwere Frau, ihre Schritte hallen durchs Haus. Neben der Tür stehen zwei Heiligenfiguren, Blattgold auf Holz, Glücksbringer, darunter Christophorus, Beschützer der Autofahrer. Gerda Luksch und ihr Mann Stefan führten bis vor kurzem eine Spedition und ein Busunternehmen, boten Pilgerfahrten nach Lourdes und Fatima an. Frau Luksch saß häufig selbst am Steuer eines Busses. Sie trägt einen roten Pullover, Rock, Hornbrille, äußerlich immer noch Geschäftsfrau – auch nach der Katastrophe, die die Lukschs, wie sie beteuern, schuldlos heimgesucht hat. Gerda Luksch betritt das Wohnzimmer, ohne zu ächzen, 73 Jahre alt, vom Glück verlassen.
 

Am Tisch sitzt der Schwiegersohn, der zu Besuch ist, um Beistand zu leisten wegen des Unglücks, in das die Familie verstrickt ist. Er ist Religionslehrer. Neben ihm sitzt der Dorfpfarrer, er will den Lukschs ebenfalls beistehen und schüttelt den Kopf über die Prüfungen auf Gottes Erden. Da sitzt auch Stefan Luksch, ein drahtiger kleiner Mann von 81 Jahren, er lässt seine Frau sprechen. Gerda und Stefan Luksch sind verurteilte Betrüger. Sie sollen sich von einem Heilbronner Geschäftsmann 245000 Euro geliehen haben, was sie bestreiten; ein Schuldschein trägt angeblich ihre Unterschriften. Sie weigern sich zu zahlen. Ihnen werde schweres Unrecht angetan, sagt Gerda Luksch: »Ich schwöre, ich habe mir von diesem Mann keinen Pfennig geliehen.« Die Polizei hat ihr Haus durchsucht, Konten geprüft, fand keinen Hinweis auf die große Summe. Lange haben die Eheleute mit sich gerungen, ihr Drama öffentlich zu machen. Sie fürchten um ihren Ruf in Massenbachhausen bei Heilbronn, 3700 Einwohner. Nun haben sie sich entschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen, bevor der angebliche Betrug vom 8. März an am Landgericht Heilbronn neu verhandelt wird – und ein paar Wochen später noch einmal in einem Zivilverfahren am Oberlandesgericht Stuttgart. Bisher weiß fast niemand im Dorf von der Sache, die zweimal Heilbronner Gerichte beschäftigt hat. Gemeinderäte, die man über die Familie befragt, wundern sich und sagen: »Die Lukschs sind doch ehrbare Bürger.«
 

Es gibt keine Zeugen, und das viele Bargeld hat niemand sonst gesehen

Das Landgericht Heilbronn hat das Ehepaar Luksch im Oktober 2004 in einem Zivilprozess dazu verurteilt, seine angeblichen Schulden zu zahlen. Drei Jahre zuvor wurden Gerda und Stefan Luksch außerdem vom Amtsgericht Heilbronn anhand des Schuldscheins, der offenbar ihre Unterschriften trägt, zu Freiheitsstafen von je einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung verurteilt – wegen gemeinschaftlich versuchten Betrugs. Der Anwalt der Lukschs hat gegen beide Urteile Berufung eingelegt, gegen das Strafurteil tat dies auch der Staatsanwalt. Dem ist es nicht hart genug.
 

Die Lukschs beharren jedoch darauf, den Schuldschein nie unterschrieben zu haben. Sie sagen, sie hätten ihren angeblichen Gläubiger kaum gekannt. Die bizarre Geschichte, die sie erzählen, unterscheidet sich in vielen Details von der Geschichte der Gegenseite, und nur eines ist sicher: Eine von beiden Seiten lügt. Es geht um eine große Summe Bargeld, die jener Heilbronner Geschäftsmann in seinem Haus in einer Maschine zur Wurstherstellung aufbewahrt haben will, einer so genannten Wurstspritze – ohne dass jemand davon wusste. Geld, dessen Herkunft er nicht schlüssig erklären kann und das angeblich an einem Februartag 1999 den Besitzer wechselte, ohne Zeugen. Es blieb ein unlinierter DIN-A4-Bogen mit handschriftlichen Zeilen voller Rechtschreibfehler: die Verpflichtung, innerhalb eines Jahres 480000 Mark zurückzuzahlen, mit sechseinhalb Prozent Zinsen.
 

Die Geschichte, in der sich drei Menschen begegnen und an deren Ende einer von ihnen diesen Schuldschein besitzt, beginnt im November 1998 mit einer Zeitungsanzeige. Das Ehepaar Luksch inseriert den ehemaligen Gasthof Adler in Massenbachhausen zum Verkauf. Die Familie hat ihn acht Jahre zuvor erworben, doch die Vermietung erwies sich als schwierig. Eigentümer sind Stefan Luksch und sein Sohn, der 1997 an einer Hirnblutung starb. Nach seinem Tod schlossen die Eltern die Spedition, später das Busunternehmen. Sie seien damals so wohlhabend gewesen, wie sie heute sind, sagen sie. Sie besäßen mehrere Häuser, die ehemalige Halle der Spedition ist vermietet. Alle Bankkredite seien durch Vermögenswerte gedeckt.
 

Auf die Zeitungsanzeige meldet sich der Mitarbeiter einer Immobilienfirma aus Heilbronn. Er bietet an, einen Käufer für den ehemaligen Gasthof zu suchen. Ein Maklervertrag wird geschlossen, der Kaufvertrag des Gebäudes zu den Akten gegeben. Einen Monat später stellt sich bei Lukschs der Mann vor, den sie später bei Gericht wiedersehen werden: Herbert Kraus*, der ehemalige Besitzer der Immobilienfirma, die immer noch seinen Namen trägt. Er hat die Firma bis 1996 geführt, aus einem Raum neben der Garage hinter seinem Wohnhaus. 1998 hat er Firmennamen und Büro einem Nachfolger übergeben, mit dem ihn noch ein Beratervertrag verbindet. Kraus hat einen zweifelhaften Ruf in der Branche, traf viele Geschäftspartner vor Gericht wieder. In einem Fall soll Kraus Verträge nachträglich geändert haben, woran er sich heute nicht mehr erinnern will. Der Fall endete mit einem Vergleich.
 

Gerda Luksch sagt heute, sie habe Kraus wenige Male gesehen. Er habe ihre Wohnung nur einmal betreten, sich später öfter den Schlüssel zum Gasthof geholt, um ihn Interessenten zu zeigen. Kraus sagt, er und Gerda Luksch hätten den Gasthof viele Male gemeinsam vorgeführt, hätten sich gut kennen gelernt. Er sei häufig in der Wohnung gewesen. Frau Luksch habe ihm anvertraut, ihr Sohn habe sich umgebracht und hohe Schulden hinterlassen – weshalb sie nun dringend Geld benötige, um den Enkeln ihr Erbe auszuzahlen. Sie habe ihn gefragt, ob er ihr eine halbe Million Mark leihen könne. Gerda Luksch bestreitet jede Finanznot und jeden Anspruch der Enkel. »Wenn ich Geld brauche, gehe ich zur Bank, da kriege ich es billiger«, sagt sie.
 

Herbert Kraus ist ein Mann von 62 Jahren. Er geht am Stock, er jammert viel. Der Streit um das Geld habe ihm gesundheitlich zugesetzt, sagt er – so sehr, dass er überlegt habe, sich umzubringen. Reden will er nur in Gegenwart seines Anwalts. Trotzdem fängt er schon während der Fahrt zu dessen Büro an zu erzählen – seine Version. Er habe die Geldbündel in eine Plastiktüte gestopft und in einen Zahlenkoffer gelegt. Die Scheine hätten den Koffer halb ausgefüllt. Er beschreibt, wie er das Geld im Büro der Lukschs im Erdgeschoss ihres Hauses auf den Tisch gezählt habe. Wie Stefan Luksch dazugekommen sei, in Bademantel und Hausschlappen, und dann auch noch unterschrieben habe.
 

Kraus stammt aus Siebenbürgen, er ist seit 31 Jahren in Deutschland. In Rumänien habe er als Bäckermeister gearbeitet, sagt er, bei einem Unfall habe er sein linkes Bein verloren. In Deutschland sei er seit 1982 nebenberuflich als Makler tätig gewesen; Ende der Achtziger habe er außerdem eine Baufirma geführt. 1992 sei das Maklergeschäft zum Erliegen gekommen. Er habe seitdem von Mieteinnahmen gelebt, sagt Kraus, von angelegtem Geld und dem Honorar, das er als Berater seines Nachfolgers erhielt. Er nennt einige kleinere Beträge – zu wenig, um damit in kurzer Zeit 480000 Mark anzusparen, wenn man davon auch noch leben muss.

Warum hat er eine so hohe Summe in einer Wurstspritze aufbewahrt? Er habe Zinsabschlagsteuer sparen wollen, sagt er – obwohl er auf diese Weise gar keine Zinsen bekam. Er habe vorgehabt, mit dem Geld einen größeren Kredit abzulösen. Warum hat er das nicht gleich getan? »Ich dachte, vielleicht brauche ich das Geld noch für einen Schnäppchenkauf, eine Immobilie.« Dabei hat er doch seit Jahren nicht mehr mit Häusern gehandelt. Auch den Richtern fiel auf, dass Kraus sich in Widersprüche verwickelt und nicht schlüssig belegen kann, woher das Geld stammt. Im Urteil des Zivilprozesses heißt es, »dass die Herkunft des hohen Bargeldbetrags nach den widersprüchlichen Angaben des Klägers unklar geblieben ist«. Die Anwälte der Lukschs forderten, dem nachzugehen. Aber Kraus war ja nicht der Angeklagte.
 

Herbert Kraus’ Anwalt empfängt seinen Klienten entspannt und siegesgewiss. Wie sollte die Berufung der Lukschs auch Erfolg haben, wenn es einen von Experten für echt befundenen Schuldschein gibt? Trotzdem wirkt Herbert Kraus nervös, fahrig. Er zuckt zusammen, wenn sein Anwalt ihn etwas fragt. »Eines verstehe ich immer noch nicht«, sagt dieser, nachdem Kraus seine Version lang und breit erzählt hat. »Man wendet sich doch nicht an einen Immobilienmakler, wenn man Geld braucht.« Kraus hat die Antwort so schnell parat, dass er sich beinahe daran verschluckt. Er sagt, in seinem Auto habe die Visitenkarte eines ehemaligen Mitarbeiters gelegen, der früher einmal Finanzierungen angeboten habe – diese Karte habe Gerda Luksch zufällig gesehen. Vor Gericht wurde Kraus mit der Aussage protokolliert, es sei seine eigene Visitenkarte gewesen.
 

War vielleicht zuerst die Unterschrift auf dem Papier – und dann der Text?

Wer wollte den Gerichten vorhalten, dass sie diese Ungereimtheiten nicht vollständig zu entwirren vermochten? Dass sie sich auf ihr einziges und offenbar verlässliches Beweismittel verließen? Immerhin waren zwei renommierte Schriftgutachter zu dem Schluss gekommen, dass der Schuldschein »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit« die Unterschriften von Gerda und Stefan Luksch trägt – zuerst ein Experte des Landeskriminalamts Baden-Württemberg, dann der Schriftsachverständige Wolfgang Conrad von der Universität Mannheim, ein Wissenschaftler mit 25 Jahren Berufserfahrung.

Conrads Gutachten ist 50 Seiten dick. Conrad hat an den Unterschriften auf dem Schuldschein jedes Häkchen, jeden Linienschwung geprüft. Er fand »vielfältige Übereinstimmungen« mit Vergleichsunterschriften des Ehepaars. An einer anderen Stelle heißt es: »Beide fragliche Namenszüge weisen ... Merkmale ... auf, deren Herstellung auch einem talentierten Fälscher ... nicht ohne weiteres möglich ist.« Vielfältige Übereinstimmungen? Nicht ohne weiteres? Das klingt, als wäre eine Fälschung immerhin denkbar. Conrad zieht trotzdem den Schluss, die Unterschriften seien die der Lukschs – mit dem bei Schriftvergleichen höchsten Wahrscheinlichkeitsgrad. Er sagt: »Bei dieser Beurteilung ist natürlich eine gewisse Subjektivität im Spiel.« Er beziffert die Chance, sich zu irren, mit 1 zu 1000. Führt also jede tausendste Gerichtsverhandlung auf der Basis solcher Gutachten zu einem Fehlurteil? »Das kann ich nicht ausschließen«, sagt er.
 

Auf eine andere Möglichkeit des Betrugs weist die Stuttgarter Schriftsachverständige Susanne Seitz hin. Sie wurde frühzeitig von Stefan und Gerda Luksch um ein Gegengutachten gebeten, fand jedoch keine Hinweise auf eine Fälschung der Unterschriften. Seitz hält es allerdings für möglich, dass nicht die Unterschriften, sondern der restliche Text des Schuldscheins gefälscht ist. Dagegen spricht zwar, dass Stefan und Gerda Luksch sich nicht erinnern, im Februar 1999 Unterschriften geleistet zu haben. Dagegen spricht auch, dass Experten den Schuldschein mit Spezialmikroskopen untersuchten und herausfanden, dass die Unterschriften nach der Datumszeile und der Ortsangabe auf das Papier gebracht worden sind.
 

Doch Susanne Seitz warnt davor, sich von diesen Umständen zu sehr beeindrucken zu lassen: »Ich kenne viele Fälle, in denen Leute von Trickbetrügern Papiere untergeschoben bekamen und sie unterschrieben, ohne sich hinterher daran zu erinnern. Die Betrüger knicken das Papier um, sodass der Text nicht sichtbar ist. Oder sie fügen ihn erst später hinzu.« Seitz macht ihren Berufsstand mit dafür verantwortlich, dass Fälscher immer leichteres Spiel haben. Sie sagt: »Die Betrüger haben in den letzten Jahren dazugelernt – auch, weil immer mehr Schriftsachverständige ihre Methoden im Internet preisgeben.« Sie drängt im Fall Luksch darauf, den gesamten Text des Schuldscheins zu untersuchen. Bereits auf den Fotokopien des Scheins, die ihr vorlagen, seien Hinweise auf Manipulationen erkennbar. »Und man hat bei dieser Geschichte ja auch sonst den Eindruck: Irgendetwas stimmt da nicht.«
 

Herbert Kraus hat vor Gericht einen Vergleich angeboten. »Ich hätte auf die Zinsen verzichtet und wäre mit 200000 Euro zufrieden gewesen.« Gerda und Stefan Luksch lehnten empört ab. »Wenn wir tatsächlich Betrüger wären, hätten wir ja guten Gewinn gemacht«, sagt Gerda Luksch.

* Name geändert


 

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