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Maske als Machtverstärker

Psychologen glauben, dass Vermummte leichter töten.

Tatort Erfurt, die Sekunden vor dem Amoklauf: Mit der Sturmhaube, die sich Robert Steinhäuser in der Schultoilette über den Kopf zieht, schlüpft er in eine Rolle, die er Hunderte, die Tausende Male übernommen hat: Er sieht jetzt aus wie einer dieser Schnellfeuer-Schützen aus seinem Computerspiel "Counterstrike“.

Denn auch bei der Terroristenjagd in der Kampfzone Internet trägt der Mann am Abzug eine Maske, wie sie die Polizisten von Spezialeinsatzkommandos benutzen. Auch dort sieht der Schütze seine Gegner nur durch eine Schlitz, auch dort tötet er ohne Gesicht und ohne Gnade.


Die Maske als Verbrecherutensil: Es gehört zu den einfachsten Erkenntnissen der Polizeipsychologie, dass sich Täter nicht nur vermummen, um später in keiner Fahndungskartei auszutauchen. Die Überziehmütze, sagt der Bonner Psychologe Thomas Buch, Spezialist für Täterprofile, kann die Hemmschwelle zum Töten senken. Im Fall Steinhäuser, glaubt Busch, macht sie den Mann zur Maschine.

Tatsächlich steht die Sturmhaube in der Bildsprache des Spiels "Counterstrike“ für einen Präzisionstechniker des Tötens, und auf den Fluren des Gutenberg-Gymnasiums wird das Stück Stoff vor Steinhäusers Gesicht zu einer Deckung, aus der auch er wie ein perfekter Killerroboter operiert. Beherrscht und präzise, unnahbar und ohne menschliche Regung erschießt er Lehrer um Lehrer.

"Die Maske gab ihm Sicherheit“, vermutet die Stuttgarter Polizeipsychologin Susanne Seitz, "er konnte dahinter seine Gefühle verbergen, er konnte Distanz zu seinen Opfern halten.“


Damit erfüllt die Vermummung bei Steinhäuser einen ganz anderen Zweck als bei üblichen Straftaten. Sie ist nicht vergleichbar mit der Strumpfhose, die sich ein Bankräuber überstreift, auch nicht mit der Maskierung des 15-jährigen Andreas S., der unerkannt entkommen wollte, nachdem er 1999 in Meißen seine Lehrerin erstochen hatte.


Und auch das Phänomen, das Demonstranten nach den jüngsten Berliner Mai-Krawallen wieder beklagten, hat offenbar andere Wurzeln. Dort ließen sich zwar einzelne Polizisten in der Anonymität, die ein Helm mit heruntergeklapptem Visier schafft, offenbar zu Haudrauf-Attacken hinreißen. Doch über die Stränge schlagen auch solche Beamte nur, weil sie hoffen, namenlos zu bleiben.


Bei Steinhäuser dagegen spricht nichts dafür, dass er unerkannt davonkommen
wollte, umso mehr für die Deutung der Psychologen Seitz und Busch, dass er glaubte, hinter der Maske sein Vorhaben besser durchziehen zu können.

Vielleicht aber wollte er auch einfach nur cooler aussehen, so wie Massenmörder im Spielfilmen. Vor allem in Horror- und Action-Streifen, wie sie Robert Steinhäuser gern sah, gehören Masken zur Requisite der Killer. Ganze "Ninja“-Horden ziehen durch das Metzelgenre, und mit den Film-Psychopathen, die man an Gummimasken ("Fantomas“), Ledermaulkörben ("Hannibal Lecter“) oder Stahlhauben ("Darth Vader“) erkennt, könnte man gleich mehrere Landeskrankenhäuser füllen.


Auch in vielen Schockern geht es nicht darum, die Identität des Mörders zu verschleiern, sondern nur um ein Maximum an Angst und Schrecken. "Ich setze mir die Maske auf, und alles rennt weg“, beschreibt Seitz die Wirkung.

Die Maske, ein Machtverstärker – Steinhäusers Amoklauf war zu Ende, als er dem Lehrer Rainer Heise ohne Sturmhaube gegenüberstand. "Da hat die Hemmung eingesetzt“, glaubt Psychologe Busch. Der Mörder war offenkundig am Ziel - als er die Maske noch einmal überzog, tat er es nur noch, um zu sterben.

 

JÜRGEN DAHLKAMP

© 2002, Der SPIEGEL

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